Zurück Onlineforum Fremdrente I Fremdrente: eine ungerechtfertigte Leistung?Rentenversicherung keine LebensversicherungWenn Politiker nach Einsparmöglichkeiten in der Rentenversicherung suchen, dann steht die Fremdrente, wie wir auch in der aktuellen Diskussion sehen können, an vorderster Stelle. Die meisten Siebenbürger Sachsen, wie übrigens alle Aussiedler, sind mit ihrer Rente zufrieden, weil, so ihr Argument, sie keine Beiträge gezahlt hätten und damit strenggenommen auch keine Ansprüche an die Rentenversicherung stellen könnten. Auch in der Öffentlichkeit taucht das Argument auf, die Fremdrente ist keine gerechtfertigte Leistung. Die Fremdrente sei eine der Rentenversicherung aufgebürdete "Fremdleistung". Hier finde eine Umverteilung zugunsten von Aussiedlern statt, die politisch motiviert ist, und daher nicht zu rechtfertigen sei. Ist die Fremdrente ein Almosen oder Geschenk des deutschen Staates bzw. der deutschen Gesellschaft an Aussiedler? Die Rentenversicherung wurde 1957 in der Bundesrepublik neu gestaltet. Bei dem derzeitigen System handelt es sich um einen Generationenvertrag. Der Generationenvertrag funktionierte auch in Deutschland zuerst auf familiärer Ebene. Früher mußte die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter erstens für die Pflege der Eltern aufkommen, die Eltern zogen die Kinder groß, während dafür die Kinder ihre Eltern pflegten. Zweitens mußte man für die Zukunft (eigenes Alter) Sorge tragen, dies tat man, indem man eigene Kinder hatte. Dieses System funktioniert auch heute noch in vielen Gesellschaften. Der Nachteil dieses System ist: Obwohl jemand seine Leistungen erbracht hat, bleibt ein hohes Risiko bestehen. Die Kinder können sterben oder sich weigern ihrerseits Leistungen zurückzugeben. Die sozialen Rentenversicherungssysteme können diese Risiken beseitigen. Wann ein bestimmtes Individuum stirbt, kann niemand vorhersagen. Bei ganzen Populationen kann man die Todeshäufigkeit voraussagen. Das Todesrisiko einzelner Beitragszahler wird damit berechenbar und die Kosten werden auf alle verteilt, so daß es zu keinen finanziellen Härtefällen kommt. Hinzu kommt, daß die Beitragszahler ein Recht auf Leistungen erwerben, das bei Bedarf (im Alter) besser durchgesetzt werden kann. Der Anspruch richtet sich nun nicht mehr an einzelne Personen, sondern an eine staatliche Versicherung. Die deutsche Rentenversicherung beruht auch auf zwei Säulen: Erstens müssen Beiträge gezahlt werden. Zweitens müssen zukünftige Beitragszahler (Kinder) erzogen werden. Die Rentenversicherung basiert im Unterschied zur Lebensversicherung auf dem Umlageverfahren. "In der Rentenversicherung werden die Ausgaben eines Kalenderjahres durch die Einnahmen des gleichen Kalenderjahres und, soweit erforderlich, durch Entnahmen aus der Schwankungsreserve gedeckt" (SGB VI, § 153, I) Zur Zeit reichen die Einnahmen nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Die Bundesregierung rechnet für 1997 mit über 9 Milliarden DM Defizit in der Rentenversicherung. Bei der Berechnung der Rente werden vor allem die Beitragsleistungen berücksichtigt, Kinder und Kindererziehung werden nicht ihrer Bedeutung entsprechend angerechnet. Kinder benötigen aber von ihren Eltern ca. 100.000 bis 200.000 DM Unterhaltsleistungen, bis sie selbst Beitragszahler sind. Bei der Rentenversicherung werden nicht so wie bei einer Lebensversicherung nur die Leistungen ausbezahlt, die man während der Beitragszeit eingezahlt hat und den Gewinn aus diesen Beiträgen. Die Rentenversicherung hat weiterhin eine dynamische Komponente, d.h. die Rente bleibt nicht gleich, sondern sie wird an die Produktivitätsentwicklung angeglichen. Daher werden die Renten jährlich, je nach Entwicklung der Einkommen, angepaßt. Das Rentensystem funktioniert über Jahrzehnte hinweg nur, wenn man nicht nur die erste Säule pflegt, sondern auch die zweite Säule nicht vernachlässigt. Die Schwierigkeiten der Rentenversicherung haben hier ihre Ursachen. Sie sind nämlich auf die Überalterung der Bevölkerung zurückzuführen. Im Jahre 1989 erstellte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im Auftrag der Bundesregierung ein Gutachten "Die Integration deutscher Aussiedler - Perspektiven für die Bundesrepublik Deutschland" (ich zitiere aus einer Zusammenfassung mit Tabellenanhang). Darin wird festgestellt, daß sich "durch die Aussiedler-Integration mittel- und langfristig eindeutige und nachhaltige positive Wirkungen auf den Wirtschaftskreislauf, die Finanzlage der Gebietskörperschaften und des sozialen Sicherungssystems, die Bevölkerungsstruktur und den Arbeitsmarkt" ergeben. Die Aussiedler-Integration bewirkt danach "eine gravierende, weit ins nächste Jahrhundert reichende Entlastung der Kranken- und insbesondere der Rentenversicherung" (a.O. S. 6). Das Verhältnis bei Spätaussiedlern von Rentnern auf der einen und Erwerbstätigen auf der anderen Seite betrug ca. 1:4, während es in den alten Ländern ca. 1:2 war. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzte, daß es ab 1990 "enorme(n) Überschüsse(n) in der Rentenversicherung" (Abo. S. 12) geben wird. Die gesetzliche Rentenversicherung werde per Saldo etwa von 1996 bis 2005 zwischen 38 und 61 Milliarden DM mehr einnehmen, als sie für Leistungen ausgeben muß (Abo. Tabelle 7, S. 29). "Als Fazit der Analysen des Gutachtens läßt sich festhalten: Die Integration der Aussiedler in die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur eine prinzipiell lösbare, sondern auch eine wirtschaftlich, gesellschaftlich und sozial lohnende Aufgabe" (Abo. S. 20). Die Fremdrente ist daher kein Geschenk des deutschen Staates bzw. eine ungerechtfertigte Umverteilung zugunsten von Aussiedlern, sondern sie setzt sich auch aus dem Geld zusammen, das Kinder von Aussiedlern monatlich in die Rentenversicherung einbehalten. Die Kürzung der Rente von Spätaussiedlern entbehrt daher jeder wirtschaftlichen Logik. Wie kann man dann die Kürzungen der Fremdrente infolge des Rentenreformgesetzes von 1992 erklären? Wieso muß man ständig eine Reduktion und Schlechterstellung der Leistungen nach dem Fremdrentenrecht befürchten? In den 80ger Jahren wurde von verschiedener Seite behauptet, die Aussiedler bekämen viel zu hohe Renten und daher sei eine Kürzung notwendig. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger ist dieser Vermutung nachgegangen. Dabei stellte sich heraus, daß bei den 1988 zugegangenen Renten auf der Basis von 15 und mehr Versicherungsjahren in den Angestelltenrenten die Renten von Aussiedlern etwa 5 Prozent höher lagen als die Vergleichsrenten für bundesdeutsche Rentenbezieher. Völlig anders war die Situation in der Arbeiterversicherung und den Knappschaftlichen Rentenversicherung hier lagen die Aussiedlerrenten erheblich niedriger. Auf die letzten beiden Versicherungszweige entfielen aber 62 Prozent der Aussiedlerrenten. Das Institut der deutschen Wirtschaft stellte daher fest: "Überwiegend sind also die Renten der Einheimischen höher als die Renten der Aussiedler" (Abo. S. 15). Die Antwort auf die oben gestellten Fragen muß man also anderswo suchen. Nicht nur die Aussiedler werden bei den sozialen Sicherungssystemen benachteiligt, sondern alle Familien in der Bundesrepublik, die mehr als ein Kind haben. Weil etwa die Altersvorsorge nahezu vollständig sozialisiert die Kindererziehungslast dagegen weiterhin privat bleibt. Aber auch bei der Krankenversicherung und erst recht bei der Pflegeversicherung fließen Gelder von Mehrkinderfamilien zu kinderlosen und kinderarmen Familien. "Die Fachwelt spricht hier auch von inverser Solidarität: Die Schwachen tragen die Starken" (J. Borchert: Schlag gegen die Familie. In: Die Zeit vom 17.12.1993, S. 21). Diese Ergebnisse waren Anfang der 90er Jahre auch für die Fachwelt verblüffend. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem "Familienurteil" vom 7.7.1992 dazu fest, daß die Benachteiligung der Familie im sozialen Sicherungssystem nicht länger hinnehmbar sei, weil sie sowohl mit dem Gleichbehandlungsgebot im Grundgesetz (Artikel 3) als auch mit dem staatlichen Schutzauftrag gegenüber der Familie unvereinbar sei. Der Verfassungsauftrag aus diesem Urteil an den Gesetzgeber lautet: Eine familienpolitische Strukturreform des Sozialstaates ist dringend notwendig und die Benachteiligung der Familie muß eigentlich mit jedem Gesetzgebungsschritt erkennbar verringert werden. Sicherlich 1957 konnte man die Entwicklung der Altersstruktur nicht vorhersehen. Die Frage lautet nun, wieso können solche Mißstände in einer Demokratie nicht beseitigt werden? Demokratie wird mit allem Schönen, Guten und Gerechten in Verbindung gebracht. Dabei wird durch das Demokratieprinzip nur garantiert, daß sich die Mehrheit mit ihren Interessen durchsetzt. Nun die Mehrheit der Bevölkerung setzt sich aus kinderlosen (30 % sind lebenslang kinderlos) und kinderarmen (20 % Einkind-Eltern) zusammen. Wenn man noch bedenkt, daß dieser Bevölkerungsteil zu den erfolgreichsten in der Gesellschaft zählt, so weiß man das Strukturreformen in diesem Bereich sehr schwer möglich sind. "Korrekturen von derart elementaren Fehlentwicklungen sind daher im parlamentarischen Wege nicht mehr zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht ist die einzige Instanz zur Korrektur derartiger Verhältnisse" (Prof. Pechstein: Zugunsten der kinderlosen und kinderarmen Wähler. In: FAZ, 24.4.1992, S. 8). In der Tat hat die Mehrheit der Deutschen weder ein Interesse Strukturreformen der Rentenversicherung durchzuführen, noch daran die Defizite gerecht zu verteilen. Hilfe ist hier nur auf anderem Wege zu erwarten. Das Demokratieprinzip ist nur eins von mehreren elementaren Prinzipien des Grundgesetzes. Das Rechtsstaatsprinzip ist genauso wichtig. Es garantiert vor allem, das die Mehrheit nicht machen kann, was sie will. Menschenrechte und Minderheitenrechte können nur so wirkungsvoll geschützt werden. Der Rechtsweg ist der einzige Weg, der Erfolg verspricht, d.h. nur dadurch können Fehlentwicklungen beseitigt bzw. zukünftiges Unheil vermieden werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt Anlaß zur Hoffnung, daß man sich gegen bestehende Benachteiligungen (z. B. 30/40-Prozent-Reduzierung) aber auch zukünftige Zurückversetzungen wehren kann. Probleme bereiten den Antragstellern im Fremdrentenrecht auch, daß die Behörden mit der Anerkennung von Zeiten sehr restriktiv verfahren, d.h. im Zweifelsfall wird gegen den Antragsteller entschieden, obwohl der Grundsatz gilt: in dubio pro red (im Zweifel für die Sache). Diese Benachteiligungen kommen einerseits dadurch zustande, weil die Rentenversicherungen sparen wollen und daher durch nicht Anerkennung von Zeiten gerade die bestrafen, von denen man möglichst wenig Widerstand erwartet bzw. die sich kaum wehren können. Andererseits haben in der Vergangenheit manche Aussiedler mutwillig Vertrauen zerstört, indem sie falsche Bescheinigungen "beschafft" oder falsche Zeugenerklärungen erbracht haben. Ein wichtiges Ergebnis der Rentenreform von 1992 ist die neue gesetzessystematische Gliederung des Rentenrechts. Bis 1992 bestand das Rentenrecht aus verschiedenen Haupt- und Nebengesetzen. Das neue Rentenrecht wurde als Sechstes Buch in das Sozialgesetzbuch (SGB) eingeführt. Dies ist für die sozialen Sicherungssysteme von besonderer Tragweite. Für die Rentenversicherung liegt die Bedeutung darin, daß der Gesetzgeber und die am Rentenkonsens beteiligten Parteien (CDU/CSU, SPD und FDP) mit dem neuen einheitlichen Rentengesetz ihre Bereitschaft bewiesen haben, grundsätzlich am bestehenden Rentensystem festzuhalten. Das Fremdrentenrecht wurde im Unterschied zu allen anderen Rentengesetzen nicht in das Sozialgestzbuch (SGB VI) integriert. Damit ist die Gefahr sehr groß, wenn nicht die Grundlage geschaffen, daß die Fremdrente als "Fremdleistung" disqualifiziert wird und in Zukunft bei jeder Änderung oder Sparmaßnahme unter die Räder kommt. Die jetzt (1996) erfolgte nochmalige Reduzierung der Fremdrente zeigt deutlich wohin die Reise geht. Wenn es um die Reduzierung der Fremdrente geht, dann gab es sowohl 1992 als auch 1996 eine breite Übereinstimmung bei CDU/CSU, SPD und FDP. Milliardendefizite in der Rentenversicherung zwingen die Verantwortlichen zu Sparmaßnahmen. Daß die Fremdrente wie in der Vergangenheit zuerst hinhalten muß, dürfte nach dem bisher gesagten niemanden mehr überraschen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten die Fremdrente zu kürzen. Und die geplanten Änderungen zeigen, daß eine Koalition aus allen Parteien (vor allem CDU/CSU, FDP und SPD, die aufgrund der derzeitigen Machtverhältnisse nur gemeinsam diese Grausamkeiten durchsetzen können) sehr harte Einschnitte ab Januar nächsten Jahres schon vornehmen. Das Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, daß die Benachteiligung von Aussiedlern keine wirtschaftliche Grundlage hat. Mehr noch: man schädigt die Gruppe, die mehr einzahlt als sie an Leistungen erhält. Die Frage lautet nun: Wie können wir uns gegen ungerechte Eingriffe in das Fremdrentenrecht wehren? In erster Reihe sind alle gefordert. Jeder sollte sich dafür einsetzen, das er die Leistungen in Anspruch nimmt, die einem Kraft Gesetz zustehen. Dies ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt (Siehe dazu meinen Artikel Kontenklärung - Rentenantrag - Rentenbescheid. Vorsorge für die Zukunft jetzt notwendig). Zweitens ist die Landsmannschaft gefordert. Sie sollte nicht nur durch Beratung den Mitgliedern beistehen, sondern auch konkret in besonders krassen Fällen Musterprozesse vor Gericht finanziell unterstützen. Es gibt neben dem Rechtsweg auch noch andere Wege die eigenen Interessen durchzusetzen. Auch Minderheiten können sich in unserer Demokratie Gehör verschaffen. Allerdings ist dafür eine gute Lobby (Interessenvertretung) notwendig. Die Landsmannschaft ist daher gefordert erstens Verbündete für eine gerechte Strukturreform der Rentenversicherung zu finden und mit diesen gemeinsam Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben. Weiterhin sollte sie sich für eine Integration der Fremdrente in das Sozialgesetzbuch einsetzen. Zurück Onlineforum Fremdrente I
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