Dieter Schlesak: LandsehnGedichte mit Erzen und Gesteinen aus Siebenbürgen, gezeichnet von Ladislav Pros Dieter Schlesak ist immer schon im Zwischenraum eines Niemandslandes und als eine Art "Zwischenschaftler" nur in der Sprache beheimatet gewesen, sonst nirgends - ein ostwestlicher Dichter, der aus Transsylvanien stammt, und heute bei Lucca in der Toskana lebt, als einzelner das auszuhalten, was die meisten vergessen möchten! Er hat seine Geister in sein zweites Exil, nach Italien versetzt: in diesem neuen Band (nach "Aufbäumen", Rowohlt, 1990) erscheinen die ostwestlichen Erfahrungen im lyrischen Zwischenreich der Sprache als einzigem festen Boden (vor allem seit 1989). Schlesaks neuer Gedichtband hält sich in der Nachfolge von Ernst Meister und Celan, an ein Jenseits der Opfer- und "Totengespräche", versucht alles, auch die neue Grenze und was sich überall als neue "Wirklichkeit" und ihre innere und äußere Mauer aufdrängt, aufzubrechen: "Nichts ist so wie es ist." "Nichts ist wirklich.", weder angesichts der Zukunft, noch vor allem angesichts des Todes. Die Gedichte bewegen sich an den Rändern des großen Geheimnisses, das auszuhalten ist nur mit Hilfe des anderen großen Themas dieses Bandes: der Liebe, die aber in die gleiche Richtung der Unwirklichkeit der realen Welt weist. Es bleibt wie vor 89 auch, damals allerdings als Drohung faß- und sichtbar, der Grenzstreifen des Niemandslandes als einziger Zugang und realer Ort jenseits aller Vortäuschungen. Er hat jetzt andere Werte angenommen und erscheint nur verborgen, vorerst im Medium der Träume und des Gedichts. Der Unterschied heute: alles ist erschreckend offen! "Hier ist, um mit Musil zu reden, nicht nur eine neue Seele da, sondern auch der dazugehörige Stil. Das vitale Sprach- und Erfahrungsmaterial ist in großräumige Rythmen übersetzt, die in der Ferne die Zentnerschwere einer lyrischen Tradition von Gryphius bis Günter und Klopstock ahnen lassen, bei denen die Form gerade noch die alles sprengende Erfahrung faßt... Man möchte auf die formale und sprachliche Kunstleistung hinweisen, auf die Vielfalt der Themen - und könnte doch nur sagen: Ecce Poeta: Viele dieser Gedichte lassen den Leser nicht los, sie greifen seine Erfahrung, sein Bewußtsein an. Walter Hinderer, Frankfurter Allgemeine Zeitung" "Dieter Schlesak legt Gedichte vor, die überwältigen. Sie stellen den Leser; sie beschwichtigen nie." St. Galler Tagblatt E s geht zu Ende was bisher war,und die Stimmen sind fern wie morgens um fünf, wir werden uns nie mehr wiedersehn, wir werden vergessen. Man sieht´s an der Luft, an den Augen der Leute, überall rollen sie die Erinnerungen ein, heut sah ich Fotos der siebziger Jahre, da waren wir jung und alles schien offen, du stiegst in den fahrenden Zug, der kam nie an, und fuhr ab nur zum Schein. Alt sind unsere Gefühle geworden. Und oft ist es kalt und du spürst nur Gewohnheit, als wäre über den Augen ein Schleier, und wir gehen mit Abwesendem um. In allem spür ich schon das Vergessen, und die Leute sehn mich gar nicht mehr an, so denk ich: vielleicht bin ich plötzlich gestorben und hab´s nicht bemerkt, bin unsichtbar geworden. Es ist nicht nur die Liebe die jetzt vergeht, es ist nicht nur Eiszeit der Sinne, es liegt, ein Stillstand um uns in der Luft, der uns Angst macht und uns den Atem verschlägt. Denn es geht zu Ende was bisher war, und die Stimmen sind fern wie morgens um fünf, wir werden uns nicht mehr wiedersehn, und wir werden vergessen am Leben zu sein.
Zuhause an der Wand:
Rückkehr in Schnellzügen der Erinnerung Fahrt durch lange Tunnels Das Zu Hause ist ein Punkt Kaum greifbar und immer ein Schlußlicht es Zieht sich zurück je näher wir kommen Dann aber fährst du ein, glaubst Ankunft zu spüren
Losungen/ Wände Und du an ihre Wand gestellt Schlägst dir den Kopf wund Und findest ihn kaum/ den einzig realen Punkt Planetarisches Irrenkino und du Gefesselt daran mit Erinnerung Du fürchtest den Punkt Mit dem Kopf zu durchstoßen Noch blüht/ dir das Unheil Dann fehlt die Bezeichnung und Die Zeitlose droht.
Heimkehr freilich mit Arghezi Ein Warten war es, dann Melancholie oder die Schwermut drängt hinab, verschließt mit Erde den Mund, wer aber ihn sich so lange aufspart, vergißt seinen Grund. Ohne ihn sind wir allein, Jeder fällt, wenn er plötzlich aus der Sprache erwacht in die Schwermut, den ungelösten Klumpen Gott, Erdkloß für ihn, unerschaffen.
Wenn wir die Sprache verlassen, den letzten menschlichen Ort, der uns vor uns selber schützt, nein, uns die Form viel zu leicht macht, blieben die nicht redenden Bäume, das Gras wie es deckt, und der Specht hämmert an dieser Wand, die uns trennt, Holz oder Stein, dies Papier, wo Buchstaben klopfen, unten gelassen die letzte Ortschaft, dann bist du allein, ein Augenblick Leben. So lösch mich hier weg.
Gäbe es so ein Reisen von S zu S Oder von Stuttgart nach Transsylvanien Hätte ich tatsächlich den Glauben/ an etwas Kommendes? Dort ist die Hölderlinie weiter gereist am Neckar zur Kokel zurück. Am Meer aber vom Ich weggefahren, der Tod.
Keine Frage: die Grenzen sind ersehnt und befreit, käme ich an, käme einer ichlos an: säuft am Abend entspannt, der Augenblick offen, rätselt aber die Frühe eben im Tau.
Doch weiter, immer weiter entzieht sich der Horizont, kommt ihm näher, unfaßbar ist und nie das Kommende, genau am Horizont, genau die Sekunde, die im Gras IST eben verendet.
Die Geisterbeichte Transsylvania. Welch dichte Nacht, welch Dunkel fällt! Es schlug jemand an den Grund der Welt. Ists Jemand oder ein Schein, wer geht dort ohne Licht, ohne Mond, ohne Mund, und schlägt sich an den Pappeln wund? Wer geht da ohne Laut, ohne Schritt, wie eine irrende Seele zu Dritt? Wer da? So antworte mir, woher du bist, durch welche Tür du kamst, in unseren Raum spurlos Verwirrende? Bist du es Mutter? Ich habe Angst. Wars dir zu eng in der Erde, bevor du kamst? Niemand mehr ist hier. Und alle sind fort. Alle haben sich schlafen gelegt, mit dir zu nächtigen, sind alle für immer gestorben. Auch Burkusch hat sich auf die Schnauze gelegt, und ist in die Erde verschwunden. Vertrocknet ist der Mais, verdorrt der Maulbeerbaum, und das Basilienkraut wie Gras, vom Dachsims, den sonst der Mond beschienen, verschwanden die Nester der Schwalben, die Tauben sind fort, die Bienenstöcke leer, die Speicher sind öde und tot die Pappeln, ziegelrot, schief die Wände, und der Zaun zum Nachbarn ist zerbrochen.
Es ist lang her, du schliefst ein, Tudor, du mit allem, Bilder und Betten schliefen, Riegel, Haken halten nicht mehr, und es strömt aus eurer Welt herein, da alles vergangen ist und doch noch kein Ende. Horch, dort weint noch jemand, ist es der Engel, er wartet auf uns, wir kehren noch heim, Tudor, wie John Donne, die arme Seele.
Wer ging durch den Garten, blieb dort stehn? Was willst du? Und wer bist du, sag, daß du so stumm und ungesehen wie ein Hieb, ein Phantom, so durch die Nacht gehst, ungeschehen, hier wohnt doch niemand seit zwanzig Jahren...und ich bin verstreut zwischen Dornen und Steinen.
Werweißwersein so könntest du heißen, der niemals war, was ist: als alles An-sich zu reißen, mich im Dunkel anstarrt transparent und Jetzt meine Gedanken alle denkt.
He! Wer geht dort um im schwarzen Rock, wer kratzt in die Mauer mit seinem Fleisch ein Loch? Mit seinem Finger wie ein Nagel, als wären die Wunden Hauer. Wer steht da fremd zu Haus vor der Tür, so arm und so mager? Und bitter wie von Asche ist die Zunge, Bin zu schwer, um zu gehn, bin beklommen, ich habe großen Durst, Nachbar, öffne mir, ich bin dem Kreuz entkommen.
Und dann: eine schwarze Kirche - Die goldne Zinne beschützt noch immer die Stadt, spinnt Glasbläue von Berg zu Berg und Steintränen ins Gemäuer. Taubenweiße von Fenster zu Fenster. Da öffnet der steinblasse Turm seine Augen, der Augenblick schwingt: Herz der Schwarzen Kirche - die Uhr, zerschlagen von Stunden, holt aus ihrem Gedächtnis wieder die Zeit.
GEFÜHLE BEIM SEHEN DES LANDES VOM MEER AUS
Im Dunst ists fern wie die Verheißung Berg Baum die Stadt das Haus die Menschen Dort der Strand Das Meer gleißt nah wie Weißglut/ kühl Im Salz ein Brennen Und Distanz Die Häuser und der Mensch sind Punkte Im Spiegel nun eins zu unendlich Weich rauscht am Bug das Meer
Die Angst spannt dich ins Segel ein Als wärs ein Bogen der dich abschnellt Dem Wasser zu Du bist dir hier entzogen So sahst du dich noch nie Das Land ist zart gezeichnet Wie mit Kreide kindlich unerfüllt Du spürst wie fremd du gehen kannst Auf einem glatten Roten Meer Es ist als kämst du neu auf dieser Erde, weil sie jetzt fern ist, an.
Dieter Schlesak: Landsehn Gedichte ca. 112 Seiten, 20,- DM, 19, SFR, 146, ÖS, ISBN 3-910161-93-6 Bandnummer: 49, mit Erzen und Gesteinen aus Siebenbürgen, gezeichnet von Ladislav Pros über e-mail: galrev@galrev.com Und: "So nah, so fremd. Heimatlegenden," AGK-Verlag 1995 und "Vaterlandstage" http://home.t-online.de/home/totok/halbja~1.htm Dr. Johann Böhm, Matthiasstraße 8 D-49413 Dinklage GERMANIA
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