Siebenbürger Sachsen:
Eine Zeitreise durch Jahrhunderte

 

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von Johann Lauer


Begeben Sie sich auf eine fesselnde Reise durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Siebenbürger Sachsen.

1. Vergangenheit: Entstehung und Entwicklung der Gemeinschaft, tragische Ursachen der Auswanderung

Die Zeitreise beginnt mit einer Erläuterung der identitätsstiftenden Institutionen, welche die kleine Gemeinschaft in eine feste Burg verwandelten. Dadurch wurde das Überleben in Siebenbürgen vom 12. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ermöglicht. Anschließend werden die tragischen Gründe für die Auswanderung beschrieben.

1.1 Ansiedlung im Rahmen der mittelalterlichen Ostsiedlung
1.2 Kirchenburgen zum Schutz gegen Mongolen und Osmanen
1.3 Identitätsstiftende Institutionen
1.4 Nationalismus und Chauvinismus: Tragische Ursachen der Auswanderung

2. Gegenwart: Von den sieben Stühlen zu den sieben Ländern, von den alten zu den neuen Siedlungsgebieten

Die Migration aus den alten in die neuen Siedlungsgebiete erzwang die Auflösung der festen Burg, die Gemeinschaft ist heute als offener Club strukturiert: Jeder, der sich für das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe interessiert oder Mitglied in einem der vielen Vereine ist, gehört dazu.

2.1 Von einer festen Burg zu einem offenen Club
2.2 Logos und Wappen der Siebenbürger Sachsen 
2.3 Vom gemeinsamen Lebensraum in Siebenbürgen zum neuen Band, zum gemeinsamen Kommunikationsraum im Internet

3. Zukunft: Kulturerbe, Vereine und digitale Innovationen für die Bewältigung der Zukunft

Das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe ist heute das starke Band der Sympathie, das die Gemeinschaft zusammenhält und die Identität prägt. Vereine, Internet und generative Künstliche Intelligenz sind die stärksten Werkzeuge der Zukunft.

4. Weiterführende Artikel des Autors

5. Hinweise



1. Vergangenheit: Entstehung und Entwicklung der Gemeinschaft, tragische Ursachen der Auswanderung Seitenanfang

Im Folgenden erfolgt eine kurze Darstellung der Besonderheiten der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft und deren Institutionen. In einem ersten Schritt wird dargelegt, welche Institutionen die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft über Jahrhunderte hinweg geprägt haben. In einem zweiten Schritt wird aufgezeigt, wie sich die Transformation von einer festen Burg zu einem offenen Club vollzogen hat. Einen umfassenderen historischen Überblick mit Hinweisen auf weiterführende Literatur habe ich im folgenden Artikel vorgelegt: Siebenbürger Sachsen - gestern, heute, morgen. Von einer festen Burg zu einem offenen Club.

1.1 Ansiedlung im Rahmen der mittelalterlichen Ostsiedlung

Hin Im Rahmen der Ostsiedlung wanderten seit dem 12. Jahrhundert Siedler aus Westeuropa, vor allem aus dem Rhein-Mosel-Gebiet, nach Siebenbürgen ein und ließen sich auf dem so genannten Königsboden der ungarischen Könige nieder. Dort gründeten sie die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Diese Gemeinschaft kann als eine Art feste Burg betrachtet werden, die alle Mitglieder umgab und für den Einzelnen von existenzieller Bedeutung war.

Grundlage der Gemeinschaft war der Goldene Freibrief von 1224, auch Andreanum genannt, weil er vom ungarischen König Andreas II. ausgestellt wurde. Das Andreanum ermöglichte den Siedlern, auf dem Königsboden ein autonomes Siedlungsgebiet zu etablieren. In diesem Zusammenhang wurde ihnen das Recht auf Selbstbestimmung zugesprochen und sie wurden dazu angehalten, als Gemeinschaft einig zu sein (unus sit populus).

1.2 Kirchenburgen zum Schutz gegen Mongolen und Osmanen

Das physische Überleben haben über Jahrhunderte die siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen gesichert. Schon ab dem 12. Jahrhundert wurden die Kirchen mit Befestigungen umgeben, die ab dem 13. Jahrhundert aufgrund der großen Mongolenstürme (1241, 1242, 1285 und 1299) zu Wehranlagen weiterentwickelt wurden. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden die Kirchenburgen zu umfassenden Wehranlagen ausgebaut, der Höhepunkt des Kirchenburgenbaus kam im 16. Jahrhundert. Diese sollten nun vor allem gegen die osmanischen Angriffe schützen, denen das Land vom 14. bis 18. Jahrhundert ausgesetzt war. Auch heute prägen noch ca. 190 Kirchenburgen die siebenbürgische Landschaft.

1.3 Identitätsstiftende Institutionen

Im Laufe der Zeit etablierten sich neben den physischen Ringmauern weitere, den Zusammenhalt stärkende geistige Ringmauern oder identitätsstiftende Institutionen, welche das Überleben und die Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit der Siebenbürger Sachsen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in Siebenbürgen garantierten. Dazu zählten die Sächsische Nationsuniversität, die Evangelische Kirche A.B., die deutsche Sprache sowie ein ausgeprägtes Nachbarschafts- und Vereinswesen.

Die Bedrohung durch die Osmanen sowie die Gefährdung der rechtlichen Autonomie durch den ungarischen Adel und manchmal auch durch die Zentralmacht veranlassten das städtische Bürgertum, die Initiative zum politischen Zusammenschluss der deutschen Siedlergemeinschaften in Siebenbürgen zu ergreifen. Unter Berufung auf das Andreanum entstand 1486 die Sächsische Nationsuniversität (universitas saxonum, d.h. die Gesamtheit aller Sachsen). Diese hatte für den Einzelnen über Jahrhunderte eine ähnliche Bedeutung wie die heutige Staatsangehörigkeit. Sie fungierte als gemeinsame Gerichts-, Verwaltungs- und politische Instanz, die hoheitliche Aufgaben wahrnahm. Im Jahre 1876 verlor die Nationsuniversität ihre Rechte und damit die Siebenbürger Sachsen nach mehr als sieben Jahrhunderten ihre politisch-rechtliche Autonomie. Bis zu ihrer endgültigen Auflösung im Jahre 1937 fungierte die Nationsuniversität als Stiftung und verwaltete das im Laufe der Jahrhunderte angesammelte Vermögen.

Hinzu kam das religiöse Band. Auf Initiative des Kronstädter Ratsherrn Johannes Honterus und des Hermannstädter Bürgermeisters Peter Haller wurde eine "Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen" gedruckt. Die Nationsuniversität hat diese Kirchenordnung 1550 in allen Städten und Gemeinden des Sachsenlandes eingeführt. Die schon in katholischer Zeit vorhandene „geistliche Universität“ (Konrad Gündisch), die "ecclesia Dei nationis Saxonicae", wurde nach der Reformation bestätigt. Dies galt für alle Siebenbürger Sachsen, nicht nur für die auf dem Königsboden lebten.

Während der Reformation im 16. Jahrhundert traten sie zum Protestantismus über. Die Siebenbürger Sachsen waren somit Mitglieder der Evangelischen Kirche AB (Augsburgisches Bekenntnis, Confessio Augustana, CA). Auf dieses Bekenntnis beruft sich die Evangelische Kirche in Siebenbürgen bis heute. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Siebenbürgens gehörte anderen christlichen Konfessionen an. Ausnahme bildeten die Juden, die eine andere Religion hatten.

Auch sprachlich unterschieden sich die Siebenbürger Sachsen von allen anderen Bewohnern des Landes. Im privaten Bereich wurde der siebenbürgisch-sächsische Dialekt gesprochen, der Ähnlichkeiten mit den Reliktmundarten in Luxemburg und an der Mosel aufweist, während in Kirche, Schule und Verwaltung seit der Reformation überwiegend Hochdeutsch verwendet wurde. 1722 wurde die allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen eingeführt, sie mussten in deutscher Sprache lesen, schreiben und den Katechismus lernen. Damit gehörten die Siebenbürger Sachsen zu den ersten in Europa mit allgemeiner Schulpflicht.

Die Bruder-, Schwester- und Nachbarschaften, die die gesamte Gemeinschaft ab einer bestimmten Altersgrenze in der Regel verpflichtend umfasste, stellen eine Besonderheit der siebenbürgisch-sächsischen Dörfer dar. Die Aufnahme erfolgte nach der Konfirmation. In Aufbau, Organisation und Funktion ähnelten sie den Gesellen- und Zunftbruderschaften in den sächsischen Märkten und Städten.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten sich Zweckzusammenschlüsse, denen man freiwillig beitrat. Es kam zur Bildung von Vereinen in den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Schutz und Hilfe, Freizeit, Geselligkeit, Jugend und Senioren. Die über Jahrhunderte gelebten Grundsätze der Autonomie, Selbstverwaltung, Selbsthilfe und gegenseitigen Hilfe, wie sie nicht nur in der Sächsischen Nationsuniversität, sondern auch in Kirche sowie in den Primärgruppen (Bruder-, Schwester- und Nachbarschaften) schon eingeübt waren, konnten mit den neuen Institutionen auf eine neue Ebene gestellt werden.

Diese geistigen und physischen Ringmauern konstituierten sozusagen die siebenbürgisch-sächsische Burg, innerhalb derer die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft vom 12. Jahrhundert bis Ende des 20. Jahrhundert lebte und sich weiterentwickelte. Wie auch bei anderen nationalen und religiösen Minderheiten entwickelte sich ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl, das von Toleranz gegenüber anderen Nationen und Religionen geprägt war: eine auch für heutige Verhältnisse vorbildliche "wehrhafte Toleranz" (Hans Bergel).

Die genannten siebenbürgisch-sächsischen Institutionen und Organisationen waren von existentieller Bedeutung und garantierten, dass jeder Bürger Teil der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft von der Wiege bis zur Bahre durch ein umfassendes Netzwerk sozialer Beziehungen abgesichert und eingebunden war. Ein Leben außerhalb der Gemeinschaft war für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen nahezu ausgeschlossen. Daher beschreiben folgende Zeilen aus dem Gedicht „Bleibe treu“ von Michael Albert (1836–1893), Dichter, Gymnasiallehrer und Schriftsteller, die Situation im 19. Jahrhundert völlig realistisch:

"Wie die Not auch dräng´ und zwinge,
Hier ist Kraft, sie zu bestehn;
Trittst du aus dem heil´gen Ringe,
Wirst du ehrlos untergeh´n."

Diese kurz vorgestellten Institutionen bildeten die Ringmauern oder identitätsstiftende Institutionen, die die Gemeinschaft zusammenhielt und über Jahrhunderte sowohl die kulturelle auch als die politische Autonomie der deutschen Siedler in Siebenbürgen, der Siebenbürger Sachsen, garantierte. Im Laufe der Jahrhunderte konnte so ein vielfältiges kulturelles Erbe geschaffen werden. Die Bewahrung ihrer kulturellen Eigenständigkeit gelang im Laufe der Jahrhunderte in verschiedenen Staaten:

  1. von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis 1541 im mittelalterlichen Königreich Ungarn;

  2.  von 1541 bis 1699 im autonomen Fürstentum Siebenbürgen unter der Oberhoheit des Sultans und damit Teil des osmanischen Machtbereichs;

  3.  von 1699 bis 1867 zur Habsburgermonarchie und damit zu Österreich;

  4.  1848-1849 zum revolutionären Ungarn, nach 1867 bis 1918 zu Transleithanien, dem ungarischen Teil der habsburgischen Doppelmonarchie;

  5.  seit 1918 in Rumänien;

  6. seit Ende des 19. Jahrhunderte wanderten viele nach Amerika (USA und Kanada). Seit dem Zweiten Weltkrieg siedelten immer mehr Siebenbürger Sachsen in die Bundesrepublik Deutschland über, nahmen damit die deutsche Staatsbürgerschaft an und sind nun auch Deutsche im staatsnationalen Sinne;

  7.  heute hat die überwiegende Mehrheit die deutsche Staatsangehörigkeit, weniger als 10 Prozent die rumänische, ein kleiner Teil die österreichische, schweizerische, US-amerikanische oder kanadische. In diesen Ländern gibt es siebenbürgisch-sächsische Vereine. Vereinzelt haben einige auch andere, manche haben gleichzeitig mehrere Staatsangehörigkeiten.

Die physische Existenz der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft war über die Jahrhunderte aufgrund von Mongolen- und Osmanenüberfällen wiederholt bedroht. Diesen Bedrohungen wurde, wie oben dargestellt, mit besseren Wehranlagen entgegengetreten. Im Gegensatz zu Westeuropa, wo der Dreißigjährige Krieg wütete, gab es in Siebenbürgen keine Religionskriege. Bereits 1557 bekannte sich der siebenbürgische Landtag zu Thorenburg auf Initiative der Sächsischen Nationsuniversität zur religiösen Toleranz, die die Jahrhunderte überdauerte. Mit dem Niedergang des Osmanischen Reiches verschwanden aber nicht die Gefahren für die Gemeinschaft, die Siebenbürger Sachsen mussten sich danach mit anderen existenziellen Bedrohungen auseinandersetzen. Diese begannen schon Ende des 18. Jahrhunderts und führten dann im 19. und 20. Jahrhundert aufgrund der nationalen Auseinandersetzungen zu großen Verwerfungen.

1.4 Nationalismus und Chauvinismus: Tragische Ursachen der Auswanderung

Die „Erfindung der Nation” (Benedict Anderson) und die Entstehung von Nationalstaaten sowie die damit einhergehende „soziale Mobilisierung” (Karl W. Deutsch) haben sowohl positive als auch negative Entwicklungen bewirkt. Einerseits wurden zuvor nie gekannte Formen der Solidarität innerhalb der Nation etabliert, andererseits kam es zu Brutalität und Hass gegenüber anderen Nationalitäten. Zu den positiven Ergebnissen zählt die Überwindung der Agrargesellschaft und die Etablierung der industriellen Welt, die u. a. folgende bedeutende Fortschritte ermöglichte: die Entstehung von nationalen Kulturen und kultureller Vielfalt, die Etablierung der repräsentativen Demokratie, des Rechtsstaates, die Schaffung von Wohlstand sowie sozialen Sicherungssystemen, die nationale Solidarität geradezu voraussetzen.

Die Nationalbewegungen fordern seit dem 19. Jahrhundert die Errichtung von Nationalstaaten. Die Nationalität stellt neben der Religion und der Rasse ein weiteres Instrument dar, um Unterschiede zwischen Menschen zu missbrauchen und Macht und Herrschaft zu legitimieren. Die Schaffung von national homogenen Staaten in einem Vielvölkerraum führte unweigerlich zu Konflikten und Kulturkämpfen. Die Verquickung von nationalen und territorialen Fragen führte zu einer negativen Entwicklung, was sich insbesondere in der Brutalität der kriegerischen Auseinandersetzungen manifestiert. Der nationale Chauvinismus ist eine historische Erscheinung, die vor allem im 20. Jahrhundert ihre schrecklichsten Auswüchse hervorbrachte. Dazu zählen insbesondere die „demographische Kriegführung” (Dan Diner) oder ethnische Säuberungen in Form von Genozid und Vertreibung. Die faktische Ausbürgerung und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ost- und Südosteuropa kann als Ergebnis des nationalen Chauvinismus des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts betrachtet werden. Der Prozess vollzog sich in mehreren Phasen. Im Anschluss erfolgt eine exemplarische Darstellung dieser Entwicklung am Beispiel der Siebenbürger Sachsen.

Die erste Phase ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von national bedingten Benachteiligungen. Als Ausgangspunkt kann die Josephinische Reformbewegung am Ende des 18. Jahrhunderts betrachtet werden. Die Ankündigung, Deutsch statt Latein als Amtssprache einzusetzen, führte insbesondere bei den Magyaren zu Widerstand. In der Konsequenz wurde sozusagen als Kollateralschaden das nationale Zeitalter in der Habsburgermonarchie eingeläutet, was jedoch nicht intendiert war. Die von Joseph II. (1765–1790), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, im Sinne des aufgeklärten Absolutismus durchgeführten Josephinischen Reformen lösten bei den Siebenbürger Sachsen eine Diskussion um ein Finis Saxoniae aus. Dabei wurde die Gefahr einer Auflösung der Gemeinschaft diskutiert, weil die Rechte der Siebenbürger Sachsen erstmals durch das Konzivilitätsreskript (1781) und zweitens durch die Abschaffung des Kuriatvotums (1792) massiv eingeschränkt wurden. Nach dem Konzivilitätsreskript konnten auch Mitglieder anderen Nationen Grund und Boden auf dem Königsboden erwerben, dies war seit dem 12. Jahrhundert in der Regel nur den Siebenbürger Sachsen gestattet. Das Kuriatvotum hatte in der Fürstenzeit zur Folge, dass jede Standesnation, der ungarische Adel, die Szekler und die Siebenbürger Sachsen, als Stand je eine Stimme im Landtag Siebenbürgens hatten, ohne die kein Gesetz verabschiedet werden konnte (Vetorecht). Die nunmehrige Abstimmung nach Köpfen führte dazu, dass die Sachsen nun hoffnungslos in der Minderheit (ca. 10 Prozent) waren. Joseph der II. machte auf dem Totenbett die meisten seiner Reformen rückgängig, sein Nachfolger Leopold II. restaurierte die Sächsische Nationsuniversität, die bis 1876 fortbestand, als die jahrhunderteralte Autonomie der Siebenbürger Sachsen zerschlagen wurde.

In der Folgezeit sahen sich die Siebenbürger Sachsen mit Kulturkämpfen in Form von Madjarisierungs- und ab 1918 mit Rumänisierungsbestrebungen konfrontiert. Diese konnten vor allem dadurch abgewehrt werden, dass die deutschen Schulen der Siebenbürger Sachsen bis nach dem Zweiten Weltkrieg als konfessionelle Schulen unter der Trägerschaft der Evangelischen Kirche A.B. geführt wurden.

In der zweiten Phase wurde eine Vielzahl bilateraler Verträge des Dritten Reiches mit ost- und südosteuropäischen Staaten geschlossen, welche die Umsiedlung („Heim-ins-Reich-Aktion“) von Deutschen aus den baltischen Staaten, der Sowjetunion, Rumänien, Ungarn, Kroatien, Bulgarien und zum Teil aus dem italienischen Südtirol nach Deutschland zur Folge hatten. Von diesen Umsiedlungsaktionen waren die Siebenbürger Sachsen nicht betroffen. Aufgrund von Verträgen von 1943 zwischen dem Dritten Reich und Ungarn sowie Rumänien wurden die wehrfähigen deutschen Männer in die Wehrmacht, vor allem aber in die Waffen-SS einberufen. Diese Verträge zeigen, wie weit die faktische Ausbürgerung der Deutschen in Ost- und Südosteuropa bereits fortgeschritten war. Das Deutsche Reich sah sich ganz selbstverständlich für Millionen von Deutschen mit anderer Staatsangehörigkeit zuständig. Die Siebenbürger Sachsen haben sich zwar über Jahrhunderte als Deutsche betrachtet, Siebenbürgen hat jedoch niemals zu Deutschland gehört und die Siebenbürger Sachsen waren damals teils rumänische, teils ungarische Staatsbürger. Diese Vorgänge haben bis heute ein friedliches und normales Zusammenleben der Deutschen mit anderen Völkern in Ost- und Südosteuropa belastet.

Die dritte Phase der faktischen Aussiedlung und Vertreibung begann mit dem Zweiten Weltkrieg und führte zu Flucht, Deportation, Enteignung, Vertreibung und Zwangsumsiedlung. Die Siebenbürger Sachsen in den Hauptsiedlungsgebieten Altland und Burzenland waren von Flucht und Vertreibung nicht betroffen, da Rumänien keine Vertreibungen durchführte. Nur aus Nordsiebenbürgen (Nösnerland), das 1940-1944 zu Ungarn gehörte, flohen die Siebenbürger Sachsen in mehreren Trecks nach Westen. Betroffen waren aber die in Rumänien verbliebenen von der Deportation zu Arbeitslagern in die Sowjetunion. Die deutschen Siedlergruppen in Ostmitteleuropa wurden stellvertretend für die von Hitler-Deutschland verursachten Kriegsschäden und Verbrechen bestraft (und in eine Art nationaler Sippenhaft genommen), obwohl sie, da sie außerhalb des Deutschen Reiches lebten, an der Errichtung des NS-Regimes nicht beteiligt gewesen sein konnten. Am 6. Januar 1945 wurden 30.336 Siebenbürger Sachsen (15 % der Bevölkerung) in die Sowjetunion deportiert, alle Männer zwischen 17 und 45 Jahren, die sich nicht bereits in Kriegsgefangenschaft befanden, und die Frauen zwischen 18 und 35 Jahren. Die letzten kehrten 1949 aus der Deportation zurück, 3076 Personen (12 %) starben in der Sowjetunion (Georg Weber u.a.).

Die vierte Phase dieser Entwicklung beginnt 1949 und dauerte bis Ende des 20. Jahrhunderts. Der Nationalismus, den der Kommunismus trotz gegenteiliger Beteuerungen förderte, feierte in neuer Kleidung seine Wiederauferstehung. Diese Zeit ist gekennzeichnet durch vielfältige Benachteiligungen der Zurückgebliebenen und führte zur Aussiedlung aus den Ländern Ost- und Südosteuropas. Das Jahr 1949 gilt als das Ende der eigentlichen kriegsbedingten Flucht und Vertreibung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kamen vor allem ehemalige Soldaten und Flüchtlinge aus Nordsiebenbürgen nach Deutschland sowie entkräftete Deportierte, die in die Sowjetzone (SBZ) entlassen wurden. In den fünfziger Jahren verließen jährlich etwa 350 Deutsche Rumänien, in den sechziger Jahren stieg die Zahl und nach dem Abkommen zwischen Helmut Schmidt und Nicolae Ceausescu 1978 nochmals an. 1990 waren es 111.150, 1991 32.178, 1992 16.146, danach jährlich etwa 6.000, davon etwa 50 Prozent Siebenbürger Sachsen (Ernst Wagner).


2. Gegenwart: Von den sieben Stühlen zu den sieben Ländern, von den alten zu den neuen Siedlungsgebieten Seitenanfang

2.1 Von einer festen Burg zu einem offenen Club

Die oben genannten siebenbürgisch-sächsischen Strukturen erfahren erst nach dem Zweiten Weltkrieg einen radikalen Wandel. Am Ende dieser Entwicklungen stand eine radikale Veränderung der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft. Das einschneidendste Ergebnis war, dass die Siebenbürger Sachsen ihr gemeinsames Siedlungsgebiet verloren. Weniger als 10 Prozent lebten zur Jahrtausendwende noch in Siebenbürgen. Auch das religiöse Band hat seine prägende Bedeutung verloren. Die vor dem Zweiten Weltkrieg zweifellos vorhandene religiöse Bindung an die Evangelische Kirche A.B. ist nur noch bei einem Bruchteil der Menschen vorhanden.

Die Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts haben auch zu einer Veränderung der Bedeutung der Sprache als einigendes Band dieser Gemeinschaft geführt. Einerseits wird der Dialekt von immer weniger Nachkommen gesprochen, andererseits ist teilweise sogar das Verständnis desselben verloren gegangen. Die Siebenbürger Sachsen, die in den USA und Kanada teilweise schon seit Ende des 19. Jahrhunderts leben, verwenden als Erstsprache das Englische, Verstehen nur ansatzweise Deutsch, die aller wenigsten den siebenbürgisch-sächsischen Dialekt. In den deutschen Schulen in Rumänien lernen teilweise über 90 Prozent der Schüler, deren Eltern beide eine andere, in der Regel rumänische Nationalität angehören. Ein nicht unerheblicher Anteil dieser Schüler zeigt ein ausgeprägtes Interesse am siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbe und ist bereit, sich dieses anzueignen und weiterzuentwickeln. Um allen, die sich für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes begeistern und mitwirken möchten, die Möglichkeit zu geben, sich zu informieren, habe ich diesen Artikel auch in englischer und rumänischer Sprache verfasst.

Das siebenbürgisch-sächsische Nachbarschafts- und Vereinswesen konnte nicht nur in Rumänien, sondern vor allem auch in Deutschland, aber auch in den USA und Kanada, Österreich und der Schweiz teilweise gerettet, wieder aufgebaut oder neu etabliert werden. Fast jeder siebenbürgisch-sächsische Ort verfügt über eine Heimatsortgemeinschaft, die die Verbindung der ehemaligen Bewohner weltweit aufrechterhält und vor allem sich auch in Siebenbürgen für den Erhalt der Kirchen und der Kirchenburgen einsetzt. Viele der bereits im 19. Jahrhundert gegründeten Vereine sind auch heute noch sehr aktiv.

Das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe ist das einzig verbliebene Band der Sympathie, das die Siebenbürger Sachsen weltweit verbindet und dem sich die heute bestehenden Vereine widmen. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen keine feste Burg mehr, sondern ein offener Club, in dem jeder, der sich für das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe interessiert, mitmachen kann. Das Fehlen eines gemeinsamen Siedlungsgebietes hat dazu geführt, dass die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft nur noch durch gemeinsame Interessen zusammengehalten wird und daher eher mit einem offenen Club vergleichbar ist: Jeder, der sich für das siebenbürgisch-sächsische Erbe interessiert oder Mitglied in einem der vielen Vereine ist, gehört dazu.

2.2 Logos und Wappen der Siebenbürger Sachsen

Das Wappen der Siebenbürger Sachsen zeigt sieben Burgen, die der Sage nach einerseits an den Namen „Siebenbürgen“ oder „sieben Burgen“ und andererseits an die sieben Stühle erinnern sollen. Es gab aber nicht nur sieben Burgen in Siebenbürgen, sondern über 200. Etwa 190 Burgen oder deren Überreste sind heute noch zu sehen. Die ursprüngliche Struktur umfasste acht Stühle, nämlich den Hauptstuhl Hermannstadt und die sieben Nebenstühle (Schäßburg/Sighișoara, Mühlbach/Sebeș, Großschenk/Cincu, Reussmarkt/Miercurea Sibiului, Reps/Rupea, Leschkirch/Nocrich și Broos/Orăștie). Alle acht Stühle fungierten auch als Verwaltungseinheiten der Sächsischen Nationsuniversität. Der Weg der überwiegenden Mehrheit der Siebenbürger Sachsen führte aus ihrem Siedlungsgebiet in Siebenbürgen hinaus in die weite Welt. Heute leben Siebenbürger Sachsen in verschiedenen Ländern wie Deutschland, Rumänien, Österreich, der Schweiz, den USA und Kanada. Eine kleine Anzahl von ihnen lebt auch in vielen anderen Ländern. Es kann daher festgestellt werden, dass die sieben Burgen in den Logos und Wappen nach wie vor ihre Berechtigung haben. Die sechs Burgen, die jeweils eines der oben genannten Länder repräsentieren, und die siebte Burg, die den Rest der Welt symbolisiert, bilden ein Ensemble, das in seiner Gesamtheit das heutige Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen widerspiegelt.

Robert Linz (1957 bis 2014) hat auf meinen Wunsch hin einige Logos für siebenbürgisch-sächsische Vereine entworfen, die von allen Gruppen oder Vereinen verwendet werden können. Weitere Logos von ihm sowie Informationen und Literatur über Logos und Wappen gibt es in meinem Beitrag: Logos und Wappen. Weiterentwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Corporate Designs.

In Bezug auf das Kommunikationsdesign (Corporate Design) der siebenbürgisch-sächsischen Institutionen ist festzuhalten, dass zwei Elemente Berücksichtigung finden sollten. Dies sind zum einen die Farben der siebenbürgisch-sächsischen Fahne, Blau und Rot. Als zweites Element sind aus den oben angeführten Gründen die sieben Burgen zu nennen. Daher lautet meine Empfehlung folgendermaßen: Jeder Verein oder informelle Zusammenschluss, der sich dem siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbe verpflichtet fühlt, sollte ein Logo oder Wappen verwenden, welches die beiden genannten Grundelemente enthält. Logos sind moderne optische Signale, die in der Informationsflut Orientierung bieten. Das Logo hat (teilweise) die Funktionen des Wappens übernommen und dient als Erkennungszeichen sowie Orientierungshilfe: schnell erkennbar, klar identifizierbar. Im Unterschied zum Wappen, das zuerst ein individuelles Zeichen war, ist das Logo in der Regel kein individuelles oder konkretes Erkennungszeichen, sondern ein abstraktes Symbol. Sicherlich haben sich auch einige Wappen von einem individuellen zu einem abstrakten Symbol entwickelt, so auch die siebenbürgisch-sächsischen Wappen, die in ihren schwarz-weiß-Versionen mit keiner siebenbürgisch-sächsischen Institution eindeutig in Verbindung gebracht werden können.

2.3 Vom gemeinsamen Lebensraum in Siebenbürgen zum neuen Band, zum gemeinsamen Kommunikationsraum im Internet

Das gemeinsame Siedlungsgebiet, eine von mehreren Ringmauern die im Laufe der Geschichte verloren gingen, haben die Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert endgültig verloren. Die durch Geographie bedingten Gemeinsamkeiten gehören endgültig der Vergangenheit an, aber es gibt für die weltweit verstreuten Siebenbürger Sachsen weiterhin gemeinsame Interessen. Die Siebenbürger Sachsen leben heute über die ganze Welt verstreut, wobei sich die meisten Menschen und siebenbürgisch-sächsischen Institutionen in Deutschland befinden. Auch in Siebenbürgen/Rumänien, Österreich, der Schweiz, den USA und Kanada gibt es noch sehr aktive Institutionen. Die Siebenbürger Sachsen haben daher nicht nur in Siebenbürgen eine Zukunft, sondern in all den Ländern, wo es siebenbürgisch-sächsische Institutionen und Menschen gibt, die an einer Pflege und Weiterentwicklung des oft zitierten "unsichtbaren Gepäcks", des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes, interessiert sind.

Die überwiegende Mehrheit der Siebenbürger Sachsen war am Ende des 20. Jahrhunderts davon überzeugt, das Ende einer über 850-jährigen Geschichte der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft, Kultur und Identität zu erleben. Manche konnten sich eine Zukunft der Siebenbürger Sachsen nur in Siebenbürgen vorstellen. Da die Zahl der Rückkehrer sehr gering war, war diese Option von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Nachdem der gemeinsame Lebensraum in Siebenbürgen Geschichte war, etablierten die Siebenbürger Sachsen einen gemeinsamen Kommunikationsraum im Internet, wodurch ein neues Band geknüpft wurde. Seit 1995 entstanden Kommunikations- und Publikationsmöglichkeiten im Internet, die zuerst von einzelnen Personen, danach auch von siebenbürgisch-sächsischen Vereinen erstellt und genutzt wurden.

Das Internet, das sich Ende des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, bietet die Möglichkeit, Kommunikations- und Publikationsräume unabhängig von Raum und Zeit zu schaffen. Digitale Kommunikationsräume im Internet können zwar das reale Gespräch in Raum und Zeit nicht vollständig ersetzen, sie sind aber ein geeignetes Instrument, um miteinander im Gespräch zu bleiben. Dasselbe gilt für digitale Publikationsmöglichkeiten, sie können analoge nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Trotzdem kam das Internet wie geschaffen für die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen, die genau in diesen Jahren ihren gemeinsamen Lebensraum in Siebenbürgen verloren hatten. Das Internet kann neben den Vereinen die zweite Säule bilden, die den Erhalt des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes sichert.

Die Internet-Infrastruktur der Siebenbürger Sachsen sowie die Herausforderungen der generativen Künstlichen Intelligenz werden in einem anderen Artikel einer ausführlichen Erörterung unterzogen: Generative Künstliche Intelligenz und siebenbürgisch-sächsisches Kulturerbe: Chancen und Gefahren für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung (HTML Version), Druckversion im PDF-Format.


3. Zukunft: Kulturerbe, Vereine und digitale Innovationen für die Bewältigung der Zukunft Seitenanfang

3.1 Siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe als Band der Sympathie

Das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe ist meiner Meinung nach seit dem Ende des 20. Jahrhundert fast das einzig verbliebene Band der Sympathie, das die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft zusammenhält und die siebenbürgisch-sächsische Identität prägt.

3.2 Organisationsstruktur der Gemeinschaft heute

Die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft ist heute durch eine Vielzahl von Vereinen organisiert. Neben Heimatortsgemeinschaften und spezialisierten Vereinen kommt der Evangelischen Kirche A.B. Rumäniens eine besondere Bedeutung bei der Bewahrung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes zu. Hier finden Sie eine Liste der Organisationen und Einrichtungen.

3.3 Internet und generative Künstliche Intelligenz als digitaler Kommunikationsraum für die Siebenbürger Sachsen

Die Generative Künstliche Intelligenz wird das Internet zu einem noch leistungsfähigeren digitalen Kommunikationsraum für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes machen. Denn auch in Zukunft gilt:

„Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen“ (Johann Wolfgang von Goethe/Faust).

Eine ausführliche Erörterung dieses Themas findet sich in meinem Artikel:

Generative Künstliche Intelligenz und siebenbürgisch-sächsisches Kulturerbe: Chancen und Gefahren für die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung (HTML Version),
Druckversion im PDF-Format.

4. Weiterführende Artikel des Autors

Selbstzitate wurden vermieden, sodass eine Kennzeichnung wörtlicher Übernahmen aus anderen eigenen Beiträgen nicht erfolgt ist. Im Folgenden werden die wichtigsten eigenen Publikationen zu diesem Thema aufgeführt.

5. Hinweise

  • Meinen Dank für wertvolle Anregungen und Kommentare richte ich an folgende Personen: Siegbert Bruss, Hans-Detlev Buchner, Konrad Gündisch, Günther Melzer, Jochen Philippi und Robert Sonnleitner.

  • Die Verantwortung für alle verbleibenden Fehler wird hiermit übernommen.

  • Eine PDF-Datei, die sich bequem ausdrucken lässt (17 DIN-A4-Seiten), kann hier heruntergeladen werden: siebenbuergersachsen.de/sachsen.pdf.


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